Physiknobelpreis 1976: Burton Richter — Samuel Chao Chung Ting

Physiknobelpreis 1976: Burton Richter — Samuel Chao Chung Ting
Physiknobelpreis 1976: Burton Richter — Samuel Chao Chung Ting
 
Die Amerikaner erhielten den Nobelpreis für die Entdeckung des schweren Elementarteilchens J/Psi.
 
 Biografien
 
Burton Richter, * New York 22. 3. 1931; seit 1968 Professor an der Stanford University in Kalifornien; ab 1984 Direktor des Stanford Linear Accelerator Center; war maßgeblich an der Entwicklung von Speicherringen beteiligt.
 
Samuel Chao Chung Ting, * Ann Arbor (Michigan) 27. 1. 1936; aufgewachsen in China, 1962 Promotion im Fach Physik an der University of Michigan, ab 1967 Professor in Cambridge (Massachusetts).
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Alle Materie um uns herum besteht aus den stabilen Protonen, Neutronen und Elektronen. Als 1935 Hideki Yukawa (Nobelpreis 1949) das erste Meson postulierte, begannen die Physiker der Welt die Suche nach weiteren exotischen, extrem kurzlebigen Teilchen. Immer feinere Registriermethoden wurden entwickelt, um den Grundbausteinen der Materie in zertrümmerten Protonen und Neutronen aufzuspüren. In den 1950er-Jahren waren schon etwa 30 neue Teilchen bekannt. Ein unübersichtlicher Teilchenzoo subatomarer Strukturen war entstanden. Dieser verlangte nach grundlegend neuen Erklärungen. Wenn ein Teilchen in kleinere Bestandtteile zerfällt, müssen Energie, Impuls, Drehimpuls und auch die elektrische Elementarladung erhalten bleiben. Dieser Sachverhalt wird mit den entsprechenden Erhaltungssätzen beschrieben. Das Verhalten der Bestandteile der Atome Proton, Neutron und Elektron lässt sich mit den Erhaltungssätzen problemlos beschreiben.
 
 Ein chaotischer Teilchenzoo entsteht
 
Die Existenz und das Verhalten der neuen Teilchen ließ sich damit jedoch nicht erklären. Zusätzliche Erhaltungssätze neuen Typs wurden notwendig. Die besondere Bedeutung der Erhaltungssätze liegt in der Tatsache begründet, dass jeder Erhaltungsgröße eine gewisse Invarianz- oder Symmetrieaussage zugeordnet werden kann. Dies hatte die große deutsche Mathematikerin Emmy Nöther bereits 1918 mit dem nach ihr benannten Theorem gezeigt. Daraus konnte gefolgert werden, dass die Symmetrieprinzipien die grundlegenden Geschehnisse in der materiellen Welt bestimmen. Es stellte sich heraus, dass sich mit den abstrakten Symmetrievorstellungen, die der Anschauung nicht mehr zugänglich sind, dennoch die Elementarteilchen sehr erfolgreich systematisieren ließen — ganz ähnlich wie es das Periodensystem ermöglicht. Die Symmetrieprinzipien führten auch zu der Annahme, dass sich die Eigenschaften der Elementarteilchen auf noch elementarere Teilchen zurückführen lassen sollten.
 
Aus dieser Vermutung wurde das Quark-Modell geboren, das im Wesentlichen auf Murray Gell-Mann (Nobelpreis 1969) und Georg Zweig zurückgeht. Letzterer nannte seine Teilchen »Asse«, doch der von Gell-Mann gewählte Begriff »Quark« setzte sich durch. Nach der Quark-Theorie sind alle Hadronen, im Gegensatz zu den leichten Leptonen — zu denen das Neutrino, das Elektron und das Myon zählen — aus drei Quarks, »up« (u), »down« (d) und »Seltsamkeit« (s) genannt, zusammengesetzt. Die Hadronen teilen sich in die mittelschweren Mesonen — dazu gehören die Pionen und Kaonen — und die schweren Baryonen, zu denen neben Proton und Neutron unter anderem das L-, S- und das W-Teilchen zählen. Während die Mesonen aus Paaren von Quark und Antiquark zusammengesetzt sind, bauen sich die Baryonen aus den Quarks u, d und s auf.
 
Dass nur drei Quarks vorliegen sollten, schien aus Sicht der theoretischen Physik nicht zwingend. Es wurde deshalb lange Zeit über die Möglichkeit eines weiteren Quarks spekuliert — auch wenn es in die Symmetrie der so genannten SU(3)-Multiplettstruktur nicht passte und zur Erklärung nicht nötig war. Ein viertes hätte in der Fundamentalzelle, dem Dreieck, auch keinen Platz gehabt, da es eine Ausdehnung in den dreidimensionalen Tetraeder bedeutete. Eine Schwäche des erfolgreichen Quarkmodells ist, dass man Quarks — bis heute — nicht einzeln, sondern nur innerhalb der Mesonen und Baryonen beobachten kann. Dieser Quarkeinschluss ließ sich experimentell nachweisen. Die meisten Physiker sträubten sich aber, die gefundenen »inneren Teilchen« — in der Theorie Partonen genannt — mit den Quarks gleichzusetzen.
 
 Das charmante Quark ist plötzlich da
 
Im November 1974 hatten die Zweifel ein Ende. Richter und Ting legten ein Teilchen mit merkwürdigen Eigenschaften vor, das sich nur als Meson bestehend aus einem vierten »charme« (c) genannten Quark und seinem Antiteilchen (c̄) erklären ließ. Die Nachricht versetzte die Physiker in helle Aufregung. Denn das bedeutete, dass aus Symmetriegründen noch weitere Teilchen existieren mussten, an deren Aufbau c und c̄ beteiligt sind. Die Arbeitsgruppe von Ting hatte am Protonenbeschleuniger des Brookhaven National Laboratory geforscht, die Gruppe um Richter am linearen Elektronenbeschleuniger (LINAC) des Stanford Linear Accelerator Center.
 
Richter hatte nur eine wage Hoffnung, in seinen Experimenten das Teilchen zu entdecken. Er ließ die Elektronen des LINAC in einem angeschlossenen Speicherring mit schnellen Positronen kollidieren. Mehr als tausend verschiedene Energieniveaus musste er ausprobieren, um das Teilchen zu finden. Es kam plötzlich und dramatisch. Am 10. November 1974 hatte er mit 3095 Megaelektronenvolt die richtige Energie eingestellt und registrierte auf einmal eine enorme Menge seltsamer Strukturen in seinem Funkenkammer-Detektor. Bei der Kollision von Elektron und Positron war eine gabelförmige Struktur entstanden. Richter benannte sein Teilchen deshalb nach dem ähnlich geformten griechischen Buchstaben Psi.
 
Ting war einen anderen Weg gegangen. Er hatte Beryllium mit hoch beschleunigten Protonen beschossen, um neue, schwere Teilchen (Eltern) zu finden, die sich in Elektron-Positron-Paare (Tochterpaare) transformieren sollten. In dieser Disziplin hatte seine Gruppe einige Jahre früher eine Art Weltmeisterschaft gewonnen. Die Schwierigkeit seiner Forschung lag darin, die wenigen echten Töchterpaare aus dem aus Millionen anderer Teilchen bestehenden Partikelstrom herauszufinden. Das Nobelkomitee verglich die Aufgabe mit dem Hören des Klacken eines Cricketschlages unter dem Lärm eines aufsteigenden Jumbo-Jets. Ting nannte sein Klacken »J-Teilchen«.
 
Am 11. November 1974 trafen sich Richter und Ting in Stanford, stellten fest, dasselbe Teilchen entdeckt zu haben, und einigten sich auf den Namen J/Psi. Durchgesetzt hat sich jedoch Psi. Es handelt sich bei diesem cc̄ um ein Charmonium, ein Meson mit mehr als der dreifachen Masse eines Protons und mit ungewöhnlicher Stabilität. Kurze Zeit später konnte ihre Entdeckung in Frascati in Italien und am Deutschen Elektronen-Synchrotron in Hamburg bestätigt werden. Das Nobelkomitee reagierte ungewöhnlich rasch. Bereits zwei Jahre nach der Entdeckung zeichnet es die Forscher aus.
 
U. Schulte

Universal-Lexikon. 2012.

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